Oldschool-Rollenspiele sind zur Zeit im Trend. Das liegt mitunter auch an
Kickstarter, wo wohl vor allem Spieler älteren Semesters aufgrund
sentimentaler Erinnerung an alte Zeiten das Portmonee zücken. Ich selber
gehöre auch dazu! Isometrische Ansicht? Eine Party? Komplexe
Charakterentwicklung – und zack, ich werde schwach. Und so fluten Wasteland
2, Pillars of Eternity oder eben Divinity: Original Sin Kickstarter,
später dann meist ebenfalls Steam per Early Access.
Divinity: Original Sin befindet sich noch in der Alpha-Phase, heißt,
es wird sich bis zum Release mit großer Wahrscheinlichkeit vieles
ändern. Trotzdem ist das Spiel zur Zeit für 39,99 bei Steam im Early
Access zu kaufen. Die Frage, die sich schnell aufdrängt, lohnt es sich
für eine Alpha-Version soviel Geld auszugeben, und wie viel Potential
steckt in dem Titel?
Bevor man in das Reich von Rivellon aufbricht, geht es in die
Charaktererschaffung. Spielt man es alleine, erschafft man sich zwei
Helden, spielt man im kooperativem Modus ist nur ein Held relevant.
Wenig spektakulär ist die optische Auswahl. Ein paar verschiedene
Rüstungen, männlicher oder weiblicher Mensch und eine grobe Farbwahl. Das
muss so nicht bleiben, zur Zeit ist das aber etwas mau. Der letzte Patch
sorgte für etwas mehr Abwechslung, auch was die spielbaren Klassen
betrifft, trotzdem ist der Editor nicht besonders umfangreich.
Interessanter ist dann das, was hinter der Fassade erstellt werden kann,
denn Divinity: Original Sin hat ein offenes Charaktersystem und erinnert
herrlich nostalgisch an Pen&Paper-Rollenspiele wie (A)D&D oder
DSA. Es gibt insgesamt sechs Hauptattribute wie Stärke oder Intelligenz,
die rollenspieltypische Boni geben. Dazu gibt es noch passende
Fertigkeitsgruppen, die den Umfang mit Waffen oder Talenten der Klassen
abdecken. Von Waffenfertigkeiten über magische Boni bis hin zu sozialen
Aspekten wie Handeln ist alles dabei. Jeder Rollenspielkenner findet
sich sofort zurecht, nicht nur weil es intuitiv ist, sondern weil es
bekannt ist. Innovativ ist das sicher nicht, eher grundsolide 90iger-Jahre-Rollenspielkost, nur ist es nicht manchmal genau das, was einem
heute fehlt?
Wie früher! Mein Herz geht auf, als ich das erste mal in die Welt schnuppere. Ich
sehe eine Party aus zwei Charakteren, nämlich die beiden, die ich in der
Charaktererschaffung erstellt habe, und eine liebevolle Optik die durch
isometrische Ansicht an Baldurs Gate 2 & Co erinnert. Herrlich! Auch
der Rest ist mir als Freund der alten PC-Rollenspiele gleich vertraut. Per
Mausklick bewegt man sich sicher durch die atmosphärische und grafisch
gar nicht mal so üble Welt. Die Animationen sind etwas unrund und die
eher groben Charaktermodelle fügen sich nicht perfekt ins Gesamtbild
ein, aber selbst wenn es zum Release so bleiben würde, es ist zu
verschmerzen. Was ich in Rivellon mache ist einem nicht sofort klar. Ja,
ich stehe an einem einsamen Strand, umsäumt von Klippen und alten
Ruinen und ein Zettel im Inventar gibt mir einen kleinen Anhaltspunkt,
was ich hier zu suchen habe. Ohne Einführungsvideo, das in der Alpha/Beta noch
fehlt, wirkt man am Start des Abenteuers leicht verloren.
Nach den ersten paar Meter erblicken meine beiden Helden
Riesenkrabben. Was für "epische" Gegner, aber ehrlich gesagt bin ich
froh, dass es Krabben sind und keine Ratten, die gefühlt in jedem anderem
alten Rollenspiel für die ersten Kämpfe herhalten mussten. Das Spiel
wechselt bei feindlich gesinnten Figuren in den Kampfmodus. Auch diese
Mechanik durchschaut jeder etwas erfahrene Spieler sofort. Jeder
Kampfteilnehmer hat eine gewisse Anzahl an Aktionspunkten, wobei jeder
gelaufene Meter und jede Aktion etwas vom Polster aufzehrt. Sind alle
Punkte aufgebraucht oder man möchte sie für die nächste Runde aufsparen,
beendet man die Runde und der nächste Spieler oder Gegner ist dran. Wer
die alten Fallout-Teile gespielt hat kennt das Kampfsystem von
Divinity: Original Sin. Also auch hier mehr nostalgische Begeisterungs-
als Innovationsfreude, aber am Ende zählt der Spaß und das macht das
Kämpfen in Rivellon ganz sicher. Die meisten Auseinandersetzungen sind
wirklich schwer und man muss taktisch clever vorgehen. Zusätzlich kann
man in Divinity: Original Sin ordentlich mit den Elementen spielen. Die
Gegner stehen in einer Pfütze und sind nass? Blitzstrahl! Die Horde an
Gegnern ist trocken? Regenguss des Magiers plus Blitzstrahl! Meine Gruppe
wurde vom Gegner in Brand gesteckt und verliert stetig Lebensenergie?
Hier hilft ein Regenzauber, der die Flammen erstickt. Auch andere Klassen
haben genug taktisches Potential um in jeder Situation ein Ass im Ärmel
zu haben.
Charakterbogen Schurken betören gerne mal Feinde, Krieger brüllen sie in die Flucht.
Die Kämpfe sind zumindest am Anfang rar gesät, denn Divinity: Original
Sin ist eher dialoglastig und das Tempo für heutige Verhältnisse
arschlangsam, aber wenn die Schwerter gezückt werden, dann richtig!
Die größte Stärke ist aber die Queststruktur inklusive der
Gesprächsoptionen, die sogar zum Teil wirklich innovativ gestaltet sind.
Zum einen wären da die Dialoge innerhalb der Gruppe die inhaltlich und
in ihrer Masse ihresgleichen suchen. Gerade zwischen den beiden
Hauptcharakteren entstehen an jeder Ecke kleine Gespräche, die sich auch
aufs Spielgeschehen auswirken. So wollte mein Charakter sich durch zwei
Wächter prügeln um in eine Stadt zu kommen, woraufhin meine Begleiterin
anfing dem zu widersprechen. Nun entwickelte sich ein Gespräch um das
weitere Vorgehen. Aufgrund der Dialogstruktur wird dies teilweise sogar
philosophisch oder wirft moralische Grundfragen auf. Gerade wenn im
Koopmodus ein anderer Spieler die zweite Person spielt, blüht das Spiel
regelrecht auf. Denn am Ende muss sich einer dem anderen fügen. Im
Singleplayer streitet man mit sich selbst, da man für beide Parteien die
Fragen und Antworten auswählt – hört sich komisch an, aber ich hatte
trotzdem meinen Spaß. Neben der Klärung wie es in manchen Situationen
weitergeht, bekommt man je nach Haltung in den Debatten Punkte in
Attributen, die die Weltansicht des Charakters beschreiben. Am Anfang ein
unbeschriebenes Blatt, ist er nach mehreren Stunden zum Beispiel ein
egoistisch romantisch veranlagter Pragmat. Jede Eigenschaft wirkt sich
auch auf das Gameplay aus, meist werden Attribute oder Fähigkeiten
verbessert. Am Ende motivieren die Gespräche also neben dem Rollenspiel
auch spielerisch, für mich eine der ganz großen Stärken des Spiels.
Viele Wege führen durch die Questreihen Der zweite Faktor, der mir stetig ein fettes Grinsen ins Gesicht
schmierte, ist die Queststruktur. Es gibt meist immer mehr als einen
Lösungsweg, oft offenbaren sich weitere Optionen erst auf den zweiten
Blick. Entscheidungen sind genau so gefordert wie
Handlungsschnelligkeit. Ich will nicht zu viel verraten, aber im Forum
des Spiels wird oft gefragt, wie man bitte das Schiff, welches im Hafen
Feuer fängt, retten kann. Ich stellte mir die gleiche Frage. Wer nicht
schnell genug schaltet, wird zusehen müssen wie es abfackelt und die
Bewohner enttäuscht den Hafen verlassen. Ich glaube, ich habe durch
falsches Vorgehen selten in einem Spiel so viele gescheiterte Quests in
meinem Logbuch gehabt wie in Divinity: Original Sin. Ein erfrischendes
Gefühl in Zeiten von Questnavis, goldenen Ausrufezeichen und Hilftexten,
die einem auch mit 5 Promille im Blut sicher durch ein Rollenspiel
leiten. Eine andere Quest erfordert das Aufklären eines Mordes. Man spricht
mit unzähligen Personen, untersucht Tatorte und versucht dem Täter auf
die Spur zu kommen – ich landete irgendwann in einer Sackgasse. Ich
hatte eine Vermutung, kam aber in das Haus einer Tatverdächtigen nicht
rein. Obwohl ich meist den Dialog oder die Heimlichkeit bevorzuge, habe
ich kurzerhand die Tür eingeschlagen. Die Stadtwache hat es zum Glück
nicht gesehen! Später habe ich erfahren, dass ich die Quest auch weniger
gewalthaltig hätte weiterführen können. Wie man eine Quest löst, liegt
oft also an einem selbst und wirklich selten an strikten Vorgaben
seitens der Entwickler.
Töten kann man übrigens nicht nur feindliche Gegner, sondern jegliche Personen im Spiel und somit auch Questgeber.
Man muss das als Rollenspieler natürlich mögen und auch ich musste die
ersten Stunden feststellen, dass ich mich an den heutigen Komfort moderner
Spiele gewöhnt habe. Quests findet man, weil man Leute anspricht und
nicht weil sie ein Ausrufezeichen auf dem Kopf haben. Wohin man muss?
Ein Questmarker gibt manchmal Auskunft, oft genug musste ich mir den Weg
selber erarbeiten. Die Spielgeschwindigkeit ist langsam und man läuft
viel. Das ist in heutigen Zeiten ungewohnt, schnell merkt man aber, wie
es der Atmosphäre gut tut.
Fazit: Also
das Geld gezückt, und husch husch bei Steam das Spiel kaufen? Ich mag
das Spiel wirklich und freue mich auf den Release, aber der Antrieb beim
Kauf sollte eher der Unterstützung der Entwickler geschuldet sein und
weniger der Lust aufs Spielen. Einige Dinge, gerade bei den
Charakteroption, fehlen, einige Skills laufen unrund, die Musik ist auf
wenige Stücke beschränkt, vor allem aber ist der Bereich, den man
erforschen kann noch denkbar klein. Es mutet eher wie ein übergroßes
Tutorial an, wie ein kleines Stück poliertes Spiel vom Ganzen und es ist
weniger ein Early Access der klassischen Art. Auch wird der
Speicherstand nicht ins finale Spiel übernommen und beim letzten großen
Patch waren alte Speicherstände unbrauchbar. Spielspaß kommt trotzdem
immer wieder auf, auch gerade deshalb weil die Entwickler alle paar
Wochen Patches aufspielen die zeigen: Hier geht Herzblut und Fleiß Hand
in Hand.