Auftakt zur
Splashgames-Version des „Who is Who der Spielebranche“ Die Computerspiel-Branche ist sowieso recht schnelllebig, aber gerade in
Zeiten in denen große Publisher kleine Entwicklerstudios schlucken und auf
„Linie“ bringen, verschwinden kreative Ideen besonders schnell von der
Bildfläche. Diesem Trend zum Trotz gibt es Namen, die so manchen
Computerspieler an durchwachte Nächte vorm Monitor erinnern oder auch Veteranen
noch auf einen neuen, mal ganz anders zu spielenden Genre-Mix hoffen lassen.
Ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen, möchten
wir mit dieser Special-Serie einen Blick auf große und kleine, viel und wenig
besungene Namen der Branche werfen und darüber aufklären, warum gerade diese(r)
oder jene(r) Entwickler/Designer/Spieleschmiede uns am Herzen liegt… Quasi ein
subjektiv gefärbtes Who ist Who der
Spielebranche.
Attic Entertainment
Software GmbH Leider einer der vielen Namen, die nach und nach in Vergessenheit geraten
werden, obwohl das Franchise, welches Attic zum Durchbruch verhalf, derzeit
aktiv wie nie bedient wird. Doch dazu später mehr… Ein kleines Unternehmen aus
Deutschland, das sich vor allem durch die wirklich grandiose
Nordlandtrilogie-Umsetzung einen Namen gemacht hat. Die Spiele greifen auf das
Regelwerk des Pen-and-Paper Rollenspiels „Das Schwarze Auge“ zurück und waren
damals in Technik und Atmosphäre bahnbrechend, doch ich greife schon wieder
vor.
Die Gründerväter Im September des Jahres 1990 verwirklichten sich die drei Schulfreunde Hans-Jürgen
Brändle, Jochen Hamma und Guido Henkel einen Traum und
gründeten ihr eigenes Entwicklerstudio. Der Grundstein für das kleine
Unternehmen wurde in Mitten der Schwäbischen Alb in dem kleinen Ort Albstadt
gelegt.
Hans-Jürgen Brändle ist am 12.05.2005 in Las Vegas
verstorben. Er hat über mehr als 15 Jahre eine wichtige Rolle für die
Spieleentwicklung in Deutschland inne gehabt und hinterlässt eine große Lücke.
Brändle war maßgeblich an der Entwicklung sehr erfolgreicher Titel wie Die
Siedler oder der Serie um Realms of Arkania beteiligt. Guido Henkel ist gelernter Schriftsetzer versuchte sich
jedoch damals zunächst als Heavy-Metal-Gitarrist – erfolglos. 1985
veröffentlichte der junge Programmierer sein erstes Spiel: Hellowoon
bei Ariolasoft
(Bertelsmann-Tochter). 1990 folge dann die gemeinsame Gründung von Attic. Neben
der Entwicklungsarbeit an der Nordlandtrilogie war Henkel für den zweiten und
dritten Teil (Sternenschweif und Schatten über Riva) außerdem Komponist und
konnte sich so schließlich auch musikalisch verwirklichen. Seit dem formellen
Ende von Attic lebt Guido Henkel in den USA, führt die selbst gegründeten G3
Studios, die sich auf Handyspiele spezialisiert haben und schreibt u.a. für die
mit seiner Frau ins Leben gerufene Website www.dvdreviews.com. Jochen Hamma schließlich ist neben anderen Aufgaben z.B. als
Berater tätig, geschäftsführender Gesellschafter bei der Fantastic Realms
Interactive GmbH und mittlerweile der Inhaber aller Rechte der von Attic
veröffentlichten Titel.
Leider kam es zwischen den drei Freunden zu
Meinungsverschiedenheiten und so trennten sich ihre Wege. Entgegen aller anders
lautenden Gerüchte wurde die Attic Entertainment SoftwareGmbH jedoch nie
aufgelöst.
Die Spiele Die Firma Attic war sowohl als Entwickler als auch als Publisher tätig und
kümmerte sich daher im Selbstverlag um einige der entwickelten Spiele. Im
Verlauf der Firmengeschichte entstanden einige solide und ein paar weniger
starke. Besonders im RPG-Bereich konnten die Schwaben immer wieder punkten. Mit
der Nordland-Trilogie schließlich gelang zumindest in Deutschland ein großer Wurf.
Lords of Doom 1990 wurde in Zusammenarbeit mit den Starbyte
Labs das Horror-Adventure-Rollenspiel Lords of Doom ins Rennen
geschickt. Als eines der ersten Spiele am C64 (außerdem für PC, Amiga und Atari ST
erschienen) war eine Steuerung mit der Maus mittels anklickbarer
Richtungstasten vorgesehen. 101 Orte rund um die verlassene Stadt Vertic galt
es mit den vier Charakteren zu erkunden und immerhin vier animierte
Computergegner in die Knie zu zwingen (Vampir, Wolf, Zombie, Mumie). Um
erfolgreich zu sein, mussten vor der jeweiligen Konfrontation kleinere Rätsel
wie z.B. das Herstellen bestimmter Munition gelöst werden.
Das folgende Video bietet einen guten Einblick in das Gameplay:
Computerspiel-Geschichte: 1987 wurde das Zeitalter der dreidimensionalen Fantasy-Rollenspiele aus der Egoperspektive durch das geniale Dungeon Master eingeläutet. Grafisch und spieltechnisch funktioniert Lords of Doom genauso. Andere Vertreter des Genres sind zum Beispiel Eye of the Beholder (Forgotten-Realms-Serie) oder aber das ebenfalls im Horror-Genre angesiedelte Elvira: Mistress of the Dark.
Unbekanntere Titel 1991 veröffentlichte Attic mit Die Drachen von Laas ein grafikgestütztes Text-Adventure. Der Pressespiegel war eher durchwachsen, was sicher nicht zuletzt daran lag, dass die Hochzeit der Text-Adventures bereits vorüber war. Im gleichen Jahr erschien neben The Oath, einem Weltraum-Sidescroller zu dem kaum noch Informationen zu finden sind, auch das Rollenspiel Spirit of Adventure, ein laut einem in Erinnerungen schwelgenden Ehemaligen sehr schweres Spiel, bei dem es darum ging der Bruderschaft der Träumer das Handwerk zu legen, und deren Drogenhandel mit einer rollenspieltypischen Gruppe aus sechs Abenteurern zu unterbinden. Grafik und Spielmechanik erinnern an das Referenzspiel des Genres zu jener Zeit: A Bard‘s Tale – Komfort-Funktionen wie eine Karte der stereotypen Städte oder eine allgegenwärtige Speicherfunktion sucht man heute in dem Titel vergeblich.
Intro, Gameplay und natürlich Charakter-Generierung von Spirit of Adventure im Video:
Computerspiel-Geschichte: Textbasierte Adventures, zum Beispiel von der britischen Firma Magnetic Scrolls, waren sehr populär und stellten keine typisch deutsche Domäne dar. So konnten sich bei einer kritischen Spielerschaft nur einige wenige durchsetzen. Umso größer war die Freude über hochwertige Vertreter des Genres in der Muttersprache. In der Qualität führend war hier zu Lande die kleine Firma Weltenschmiede.
1995 erschien ein weiteres Rollenspiel aus dem Hause Attic, und zwar Der Duidenzirkel: Im Netz der Träume. Die Erwartungen an das Spiel wurden sehr hoch geschürt, nicht zuletzt durch technische Finessen wie eine komplette Sprachausgabe oder aufwendige Rendergrafiken. Atmosphärisch bewegte sich der Titel bei Erscheinen allerdings eher im oberen Mittelfeld. Der Protagonist wird in seinen Träumen zu einer Inselwelt gerufen, um den Bruder der Herrscherin der Inseln zu finden. Während der Suche auf den vier Inselwelten begegnen dem Spieler viele Kreaturen, und der zunächst gar nicht heldenhafte Charakter lernt nicht nur mit Waffen umzugehen sondern sogar die Magie zu beherrschen. Das auch 1995 veröffentlichte Fears fällt aus dem Raster des Portfolios: Es handelt sich im Prinzip um einen Doom-Klon, und einen der ersten erfolgreichen Egoshooter für den Amiga. Die Grafik war für damalige Verhältnisse beeindruckend und die Musik tat ihr Übriges zur bedrückenden Stimmung. Einen Eindruck vermittelt das Video:
1997 schließlich wurde unter Mitarbeit von Attic noch das Spiel Herrscher der Meere veröffentlicht. Es handelt sich bei dem Titel um einen Genre-Mix aus Wirtschafts-Simulation im Stil von Die Hanse, Der Patrizier oder Pirates! mit Elementen aus der Echtzeit-Strategie. Interessant war für DSA-Fans die Möglichkeit als Weltkarte für den Spielverlauf einen Teil Aventuriens zu benutzen. Grafisch kommt dieser jüngste Titel mit dem Attic-Logo, da man mittlerweile 1997 schreibt, nicht über den Durchschnitt hinaus. Bugs beim Pathfinding der Schiffe stören den soliden Gesamteindruck und beeinträchtigen den Langzeitspielspaß, der durch andere Faktoren wie variable Spielziele und historische Ereignisse, die auf die Schiffe Einfluss nehmen, eigentlich vorhanden wäre.
Die Nordland-Trilogie Den meisten Computerspielern ist der Name Attic vermutlich wegen der Nordland-Trilogie ein Begriff. In Deutschland sind Rollenspiele schon seit jeher beliebt. Das ist nicht erst so, seit Computer so populär geworden sind. Schon vorher gab es Pen&Paper-Rollenspiele, bei der sich die Spieler treffen und ein vom „Meister“ (auch Spielleiter oder Gamemaster) inszeniertes Szenario erleben. Das populärste System dieser Art in Deutschland war und ist Das Schwarze Auge. Auf Grund seiner der ungeheuren Komplexität der erschienenen Regelwerke und einer riesigen mitarbeitenden Fangemeinde war eine PC-Umsetzung dieser fiktiven Welt eine heikle Angelegenheit, die von dem kleinen Unternehmen aus der Schwäbischen Alb – so viel sei hier schon verraten – mit Bravour bewältigt wurde.
In den 1990ern gehörten die Titel der Nordland-Trilogie zu den wenigen deutschen Spielen, die auch international erfolgreich waren. Im Ausland wurde die Serie unter dem Titel Realms of Arkania vermarktet. In allen drei Teilen der Serie befehligt der Spieler eine Gruppe von bis zu 6 Helden. Alle Charaktere verfügen dank des ausgeklügelten DSA-Charakter-Systems über zahlreiche wichtige und unwichtige Talente, die nicht nur zum Erreichen des jeweiligen Spielziels sondern auch ganz wesentlich zum Spielspaß beitragen (Musizieren, Tanzen, Zechen). Die Perspektive wechselt, je nach dem wo in der Welt sich der Spieler aufhält, zwischen einer dreidimensionalen Egoperspektive in Städten und Dungeons, einer isometrischen Draufsicht in den rundenbasierten Kämpfen, und einer Kartenansicht im Reisemodus.
Das Schwarze Auge - Die Schicksalsklinge (April 1992) Rund um Thorwal, eine der größten Städte auf dem fiktiven Kontinent Aventurien, rotten sich die Orks zusammen und werden von einem lästigen Ärgernis mehr und mehr zu einer ernst zu nehmenden Bedrohung. Der Spieler stellt eine Gruppe außergewöhnlich begabter Kämpfer, Magier, Waldläufer, usw. zusammen, um das legendäre Schwert Grimmring zu finden und die Pläne der Schwarzpelze zu durchkreuzen. Ob man nun direkt den Brotkrumen zur Schicksalsklinge folgte, oder jeden Dungeon im Umland abklapperte um seine Helden hochzuleveln, blieb dem Spieler selbst überlassen. Eine erste Anmutung eines offenen Spielkonzepts mit ein wenig Open-World-Feeling – und das 1992! Vorsicht, sperrt die Diskettenbox weg, bevor ihr euch dieses Video anschaut! Den schönen Soundtrack gab es übrigens nur in der später erschienenen CD-Version:
Das Schwarze Auge – Sternenschweif (September 1994) Hat man mit Hilfe der Schicksalsklinge den Orks das Handwerk gelegt, importiert man in den zweiten Teil eine erfahrene Heldengruppe (Richtig, es gab eine Importfunktion!) und begibt sich ins Svelltal um einen Konflikt zwischen Zwergen und Elfen zu schlichten. Zunächst sollen unsere Helden nur den Salamanderstein wieder beschaffen, doch schon bald befinden wir uns auf der epischen Jagd nach der sagenumwobenen Axt. Im zweiten Teil wurde am Spielprinzip nichts Wesentliches verändert. Die Soundeffekte und die Grafik wurden verbessert, aber das – erfolgreiche – Spielprinzip blieb erhalten. Ein sogenanntes Speech-Pack lieferte dem Spiel auf vier Disketten sogar noch eine Sprachausgabe hinzu. 1996 schließlich erschien sogar eine Version mit verbesserter Grafik, Musik und Sprachausgabe auf zwei CDs. Ansonsten beschränkten sich die Entwickler auf kleine spieltechnische Verbesserungen. Den genialen Soundtrack lieferte wie oben bereits erwähnt Guido Henkel.
Auch hier gibt es wieder ein schönes Video, um in Erinnerungen zu schwelgen:
Das Schwarze Auge – Schatten über Riva (Dezember 1996) Nachdem unsere Heldengruppe auch im Svelltal für Ruhe gesorgt hat, geht’s (auf Wunsch mit den gleichen Charakteren) in der Hafenstadt Riva weiter. Hier häufen sich merkwürdige Ereignisse: Eine nahe gelegene Mine wird von Orks besetzt, auf dem Friedhof spukt es und des Nachts traut sich kaum noch jemand auf die Straße – das ruft unsere Helden auf dem Plan! In und um Riva verschlägt es unsere Helden an viele ungewöhnliche Schauplätze und der Spieler erlebt eine komplexe, spannend erzählte Geschichte. Schon optisch hat sich hier einiges getan: Die gesamte Spielwelt ist nun dreidimensional, und das stufenlos (also nicht Bildschirm für Bildschirm) begehbar. Ein echtes Novum! Die Außenwelt ist dafür massiv geschrumpft und beschränkt sich auf die Stadt Riva und deren direkte Umgebung. Besondere Ereignisse werden nach wie vor durch eingeblendete Text-Boxen simuliert und beschreiben dem Spieler, was sich gerade abspielt. Ironischerweise war es gerade die Novellierung der Grafik, die bei der Fachpresse nicht gut ankam bzw. als rückständig bewertet wurde. Richtig ist, dass die Konkurrenz (z.B. der damals aktuelle Teil der Elder-Scrolls-Reihe, Daggerfall) zu jenem Zeitpunkt bereits bessere Ergebnisse lieferte. Das Storytelling hingegen stieß auch bei den Testern auf viel Gegenliebe.
Ein Blick nach Riva:
Fazit: Vermutlich hat Attic – obwohl offiziell noch existent – seine besten Jahre schon hinter sich, doch selbst wenn es das gewesen sein sollte, gebührt den Entwicklern des kleinen Studios mein Dank für viele, viele spannende Stunden vor meinem 486er und meinem ersten Pentium-Rechner.