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Stromausfall: 00:01
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Stromausfall_neu


0001_CoverConstantin Gillies kann man wohl getrost als Kultautor bezeichnen. Nicht nur, dass seine Extraleben-Reihe bei Nerds einen Kultstatus erreicht hat, auch in seinen Büchern lässt er immer wieder (nerdige und popkulturelle) kultige Objekte und Sprüche mit einfließen. In seinem neuesten Werk 00:01 ist dies nicht anders.

In 00:01 machen wir ein weiteres Mal Bekanntschaft mit Computerforensiker Oliver Schröder, der in Das Objekt gemeinsam mit seinem alten Kumpel Leines und seiner Kollegin Harriet seinen ersten Fall löste und die Welt vor einer Katastrophe bewahrte.
Seit den Geschehnissen in der US-amerikanischen Wüste sind ein paar Jahre vergangen, Schröder seinen Job los und aus der Beziehung mit Harriet ist auch nichts geworden. Was geblieben ist, ist aber, dass er nach wie vor ein Experte in Sachen alter Computertechnik ist und es so wenig verwundert, dass sich Harriet, die noch immer bei Forensecura arbeitet, bei besonders brenzligen Aufgaben noch immer an ihn wendet. So wie jetzt. Diesmal schickte sie ihm eine alte goldene LCD-Uhr von Seiko, die einem älteren Asiaten gehörte, der auf dem Flughafen Opfer eines Nervengiftattentats geworden ist. Weshalb wurde er umgebracht? Wieso trug er gerade diese alte Uhr mit sich? Und was hat es mit der Telefonnummer auf sich, die sich auf dem 2K-Speicher der Uhr befindet? Noch mysteriöser wird der Fall, als Hacker Harriets Computer angreifen und Schröders Nachbar zusammengeschlagen wird. Offensichtlich haben sich die Einbrecher dabei nämlich geirrt und es gar nicht auf seine Nachbarn, sondern auf Schröder und die Uhr abgesehen. Aufgeschreckt von dieser Tatsche machen sich Schröder und die herbeigeeilte Harriet sofort zu einem sicheren Ort auf, an dem sie die nächsten Schritte in Ruhe überlegen können. Dieser führt die beiden, gemeinsam mit Leines, nach Thailand, wo das Abenteuer erst richtig losgeht und ihnen nicht nur einmal nach dem Leben getrachtet wird.

Obwohl die Geschichte spannend erzählt wird und reichlich Action bietet, ist das Besondere an 00:01 aber ganz sicher wieder der gewaltige Retro-Einschlag. Es vergeht kaum eine Seite auf der (insbesondere durch Schröder) nicht über irgendwelche längst vergangenen Technik-Gadgets oder irgendeine Anspielung auf ein altes Spiel, einen alten Film oder eine alte Serie gesprochen wird. Auch wenn man sicherlich nicht alle verstehen oder realisieren wird (es gibt nämlich so viele davon), sind es gerade diese Anspielungen, die nicht nur diesen Roman, sondern so gut wie jeden Constantin Gillies-Roman so interessant für „Nerds“ machen.

Leseprobe:

#01 Dass etwas passiert ist, merken die Leute erst, als die goldene Armbanduhr des Mannes auf den Marmorboden knallt. Ein Passant im schicken Kurzmantel bleibt stehen und läuft sofort auf den am Boden liegenden zu. Seine Ledersohlen klackern, der ordentlich gebundene Schal wippt im Rhythmus seiner schnellen Schritte. Noch bevor er die hingefallene Person erreicht hat, ruft er halblaut „Alles okay?“
Aber offensichtlich ist etwas nicht okay. Der Mensch am Boden schlägt mit den Fäusten auf sein eigenes Gesicht ein. Dazu stammelt er in gebrochenem Englisch immer wieder die Worte „very painful“ und „liquid“. Der junge Mann will seine Hand schon zum Hilfsbedürftigen ausstrecken, reißt sie blitzschnell wieder zurück. Nervös schaut er sich um, um sicherzugehen, dass keiner der anderen Passanten seinen hässlichen Reflex bemerkt hat. Das Opfer aus Angst vor Ansteckung nicht berühren wollen – das ist doch ziemlich herzlos. Dreizehn Jahre Religionsunterricht haben ihre Spuren hinterlassen.
Was würde Sankt Martin da sagen? Doch es wird genau diese kleine egoistische Handbewegung sein, die dem jungen Helfer das Leben rettet.
Das Opfer ist zu diesem Zeitpunkt ohnehin nicht mehr zu retten. Durch sein wildes Schlagen hat er das VX über seinen ganzen Körper verteilt. Das Nervengift dringt in jede Zelle ein und schaltet die Synapsen auf tödliches Dauerfeuer. Die dünnen Ärmchen des Mannes, der in einem viel zu großen beigen Wollpulli steckt, zucken unkontrolliert. Er drückt sein Gesicht immer wieder in eine zerknüllte blaue Regenjacke, als wolle er etwas abwischen. Die Haut an seinem kahlen Hinterkopf ist schweißnass.
Der junge Mann, der sich neben das Opfer gekniet hat, versucht unauffällig etwas nach hinten zu rutschen, damit ihn die zuckenden Arme nicht berühren. Er starrt erschrocken auf das, was vor ihm liegt, als wäre es ein Reh, das er nachts auf der Landstraße angefahren hat. Lebt es noch, oder ist es schon …
Wie weit muss Erste Hilfe gehen, um nicht in unterlassene Hilfeleistung umzuschlagen? Der junge Mann blickt sich nervös um. Es wird diesen Typen sicher nicht anfassen, um ihn in diese stabile Seitenlage zu bringen, die man ihm in der Führerscheinprüfung eingetrichtert hat und an die er sich kaum noch erinnern kann. Er schaut hoch zu den Leuten, die um ihn herum im Kreis stehen. „Können sie … einen Krankenwagen ...“
„Augenblick“, ruft einer von hinten. Handys werden rausgeholt, Finger wischen über Displays. Alle sind froh, etwas tun zu können, ohne eine Berührung mit dem Opfer zu riskieren. Man schreit ostentativ in die Telefone. „Ja, ich rufe hier an vom Gate ...“
Obwohl der junge Helfer nichts lieber tun würde als aufzustehen, kniet er weiter neben dem alten Mann am Boden, aus Angst davor, als Sozialschwein dazustehen. Halbherzig wandert seine Hand immer wieder zu dem fremden Körper, um dort wie an einer unsichtbaren Wand abzuprallen. „Können wir Ihnen … hören Sie?“ Mehr zu tun wäre ohnehin Sinnlos. Schon ein Tropfen VX ist tödlich, und das opfer hat ein vielfaches davon abbekommen. Zudem wirkt der Kampfstoff schnell. Als der erste Zuschauer von hinten meldet „Krankenwagen kommt“, haben die Arme des Vergifteten schon aufgehört zu zucken. Nur noch das leichte zittern seiner Hände zeigt den Passanten an, dass sie eigentlich etwas tun müssten.
„Haben Sie was gesehen?“, fragt einer von hinten. Der junge Mann mit dem Schal schüttelt den Kopf.
Später werden einige zeugen melden, die doch etwas gesehen haben: eine seltsame Begegnung zwischen zwei Personen, die optisch so überhaupt nicht zueinander passten. Ihn, das Opfer, werden die meisten Zeugen als „asiatisch“ und „großväterlich“ beschreiben. Die zweite Person war deutlich jünger, eine Frau, sie trug enge Jeans und Stiefel bis zum Knie. Nach Aussagen der Zeugen hat sich Folgendes abgespielt: Als der Mann durch die automatische Tür in die Ankunftshalle trat, rannte die Frau von hinten auf ihn zu, fiel ihm um den Hals und hielt ihm dabei die Augen zu, als würde sie sagen „Rate mal, wer hier ist?“. Wegen des Größenunterschiedes musste sie sich nach vorne beugen.
„Das sah halt aus nach `nem alten Sack mit Geld und … Golddigger, ne“, wird ein junger Taxifahrer zu Protokoll geben. Dann wurde es nach Aussagen der Zeugen laut. Der alte Mann fand das Kuckuck-Spielchen überhaupt nicht lustig, sondern versuchte, die Hände der vermeintlichen Gespielin wegzuziehen, während er in schlechtem Englisch rumschrie. Sie gab dann auch schnell auf und lief weg – so schnell, wie die hohen Absätze ihrer Stiefel es erlaubten. Dass sie ihre Lederhandschuhe in der völlig überheizten Ankunftshalle nicht auszog, wird den Zeugen erst spät wieder einfallen.
Ziemlich einheitlich werden indes die Beschreibungen der jungen Frau ausfallen: „attraktiv“, „vielleicht ein Model“, „hübsch“. Ein älterer Zeuge wird sagen „Eine richtige Schönheit, wie Sade eben“. Im Protokoll, das ein junger Polizist aufnimmt, wird stehen: „Wie schade.“


Fazit:
00:01 ist nicht nur wieder ein typischer Gillies-Roman, sondern auch die perfekte Fortführung von Schröders Geschichte. Neben allerlei Technik- und Geek-Anspielungen, die die Romane von Gillies für die „Nerds“ immer so interessant machen, ist auch der zweite Fall des Technikforensikers wieder sehr spannend und bietet nicht nur wieder reichlich Action, sondern auch überraschende Ereignisse, die die Geschichte bis zuletzt spannend machen.
Ich empfehle allerdings vorher den ersten Schröder-Fall Das Objekt zu lesen, denn vieles, was in 00:01 angesprochen wird, bezieht sich auf die damaligen Geschehnisse.

Zu erwerben gibt es 00:01  für 16,95 € bei Amazon, direkt beim CSW Verlag Verlag oder im Buchhandel.
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Special vom: 26.06.2019
Autor dieses Specials: Stefan.Heppert
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