Scarface: The World is Yours
Entwickler:
Radical Entertainment
Publisher:
Sierra Entertainment
Genre:
Action
USK Freigabe:
keine Jugendfreigabe gemäß § 14 JuSchG.
ca. Preis:
50 €
Systeme:
PC, PlayStation 2, PSP, Xbox
Inhalt:
Brian DePalmas Film Scarface über den kubanischen Einwanderer Tony Montana, der nach seiner Ankunft in den USA in Rekordzeit die Karriere vom Tellerwäscher zum Drogenmillionär durchläuft, erregte 1983 großes Aufsehen: Der Film enthielt nicht nur einige drastische Gewaltszenen, sondern wies auch die höchste Frequenz an derben Schimpfwörtern auf, die bis dahin in einem Kinofilm zu hören gewesen war. Über 20 Jahre später legt Sierra mit Scarface: The World is Yours das Spiel zum in Deutschland indizierten Gangsterfilm-Klassiker mit Al Pacino vor. Ein missionsbasiertes Spiel über das Verbrecherleben im Miami der frühen 80er Jahre, das mit vulgärer Sprache und viel Gewalt angereichert wurde? Das kommt dem versierten Spieler doch irgendwie bekannt vor ...
Meinung:
In der Tat ist das Setting von Scarface: The World is Yours nahezu identisch mit dem von GTA: Vice City. Wer allerdings die Filmvorlage kennt, der weiß, wie ausgiebig man sich auch im Hause Rockstar Games an dem Pacino-Streifen orientiert hat: Von Tony Vercettis Villa über die berüchtigte Kettensäge bis hin zu einzelnen Songs des Soundtracks entsprang so manches Element direkt dem Actionfilm. Insofern haben die Scarface-Entwickler natürlich erst recht die Genehmigung, diese Elemente in ihr eigenes Spiel einzubinden. Auch das grundlegende Spielprinzip ähnelt auf den ersten Blick dem GTA-Konzept: Man bewegt sich motorisiert oder per pedes durch eine Stadt und erledigt Missionen, die die Handlung oder zumindest das eigene Bankkonto weiterbringen. Doch in den Details gibt es zum Glück so manchen Unterschied, der Sierras Gangster-Spiel zu einer durchaus eigenständigen Erfahrung macht.
Jedes Ende ist ein neuer Anfang Scarface-Kenner werden sich vielleicht wundern, wie Tony Montana überhaupt noch die Hauptrolle in einem Videospiel übernehmen kann - schließlich starb er am Ende des Films auf bemerkenswerte Weise. Um dieses kleine Hindernis aus dem Weg zu räumen, haben die Entwickler das spektakuläre Feuergefecht-Finale kurzerhand umgeschrieben: Zum Auftakt des Spiels entkommt Tony lebend aus seiner Villa und taucht erst einmal unter. Wenige Monate später kehrt er jedoch nach Miami zurück, um sein altes Drogen-Imperium wieder aufzubauen. Dabei muss er sich gegen rivalisierende Gangs durchsetzen, die die Stadt natürlich längst unter sich aufgeteilt haben. Doch Tony wird seine pervertierte Version des Amerikanischen Traums durchsetzen - koste es, was es wolle.
Handelsnetz Um sein Comeback zu finanzieren, muss Tony sich erst einmal Stoff besorgen. Dazu erledigt er kleine, zufallsbestimmte Aufträge für seinen Informanten Felix, der dann den Kontakt zu Koks-Großhändlern herstellt. Die dort erworbenen Drogen verkauft der stets zum Einsatz von üblen Flüchen bereite Kubaner anfangs an kleine Dealer auf der Straße; später vertreibt er es kiloweise über verschiedene Scheinfirmen wie einen Pfandleiher oder ein Plattengeschäft. Um diese Läden zu bekommen, muss er aber nicht nur über das nötige Kleingeld verfügen, sondern erst einmal die Probleme der entsprechenden Besitzer lösen. Das geschieht üblicherweise in Form von Missionen, in denen man entweder gut fahren können oder gegnerische Gangs mit Waffengewalt in die Flucht schlagen muss. Die Auftragsvielfalt ist in Scarface nicht so groß wie in den GTA-Spielen, trotzdem motivieren die Verbrechen zum Weiterspielen, da die finanziellen Erträge recht ansehnlich sind.
Geld stinkt Eingenommenes Geld sollte erst einmal bei Tonys Bank des Vertrauens gewaschen werden, denn nur saubere Kohle geht beim Bildschirmtod nicht verloren. Allerdings beansprucht die Bank natürlich für diese Gefälligkeit auch einen Teil des Geldes für sich. Scarface greift hier auf einen besonderen Mechanismus zurück: Eine sich bewegende Leiste muss an der richtigen Stelle gestoppt werden, um den bestmöglichen Prozentsatz auszuhandeln. Geht das Timing schief, verringert sich Tonys Gewinn, oder der Deal platzt sogar völlig. Mit ein wenig Übung ist es aber nicht schwer, das perfekte Ergebnis zu erzielen. Das gleiche System kommt auch beim An- und Verkauf von Kokain oder beim Einschüchtern von Gangs bzw. "Bequatschen" von Polizisten zum Einsatz.
Unter Druck Letztere spielen in Scarface übrigens eine erstaunlich kleine Rolle: Normalerweise sieht man keinerlei Streifenwagen auf der Straße. Wenn man ein Autos stiehlt oder mit gezogener Waffe herumläuft, steigt allerdings ein Fahndungs-Balken an, der aber genauso schnell wieder sinkt, wenn man den Ordnungshütern aus dem Weg geht. Erst wenn der Balken tatsächlich einmal komplett gefüllt wird, geht die tatsächliche Verfolgung los. Um diese wieder zu beenden, muss man sich lediglich weit genug vom Tatort entfernen und dann die verbliebenen Cops abhängen, was nicht besonders schwierig ist. Allerdings übt die Polizei auch ganz allgemein Druck auf Montana und seine Geschäfte aus, ebenso wie die feindlichen Gangs. Dieser Druck sorgt dafür, dass Tonys Gewinn bei Geschäften aller Art geringer ausfällt. Durch "Geldspenden" oder verbale Drohgebärden kann Tony den Druck aber leicht wieder senken.
"Sagt 'Hallo' zu meiner kleinen Freundin!" Im Kampf kommt ein weiteres eigenes Feature von Scarface zum Zuge: Wenn man einem getöteten Opfer eine Beleidigung hinterherruft, füllt sich eine Mumm-Anzeige. Ist sie voll, kann Tony sich für kurze Zeit in "Blinde Wut" versetzen, während der er mit unbegrenzter Munition fast immer trifft, unverwundbar ist und sogar durch Erlegen der Feinde seine eigene Gesundheit regeneriert. Das Zielen und Schießen geht generell sehr gut von der Hand und macht viel Spaß. Auch die Fahrzeuge lassen sich präzise lenken. Tony kann das verdiente Geld in verschiedene Statussymbole investieren, zu denen nicht nur Autos und Boote, sondern auch Einrichtungsgegenstände für seine prunkvolle Villa gehören. Das präzise Platzieren des Mobiliars ist jedoch ausgesprochen mühsam. Perfektionisten werden am ordentlichen Ausrichten der Zigarrenständer, Schnapsschränke und ausgestopften "Pelikane" vermutlich verzweifeln, und durch einen Bug verschwinden einige der Stücke nach einiger Zeit unerklärlich ins Nirvana, aber zum Glück ist dieser Bereich des Spiels nur von sekundärer Bedeutung.
Anachronismus im Radio Die Gestaltung der Stadt und der Charaktere sind ziemlich gut und abwechslungsreich gelungen, die Automodelle sehen hingegen nur durchschnittlich aus. Gelegentlich kommt es zu leichten Einbrüchen der Framerate, aber das stört den Spielablauf kaum. Scarface weist sehr gute (und zum Teil prominente) amerikanische Sprecher auf. Tony Montanas Rolle wurde zwar nicht von Al Pacino selbst übernommen; der Imitator ist aber vom Original-Tony kaum zu unterscheiden. Die deutschen Untertitel der Dialoge wurden ebenso wie der Rest der Bildschirmtexte sehr treffend übersetzt und schrecken auch vor der angemessenen Eindeutschung der vulgärsten Schimpfwörtern nicht zurück. Die Musikauswahl ist groß und deckt zahlreiche Stilrichtungen ab; allerdings haben die Entwickler aus unerfindlichen Gründen auch eine ganze Reihe neuerer Titel ins Spiel eingebunden, die das 80er-Jahre-Flair ein wenig stören.
Fazit:
Bei aller oberflächlichen Ähnlichkeit zu GTA: Vice City entwickelt Scarface: The World is Yours schnell seinen ganz eigenen Charakter. Das hängt stark mit der einzigartigen Persönlichkeit von Tony Montana zusammen: Der stetig derbst vor sich hin fluchende Exilkubaner sorgt durch seine "Verhandlungskünste" in Wort und Tat, auf denen das glaubhaft dargestellte Wachstum seines Verbrecherimperiums maßgeblich basiert, für eine gewisse Eigenständigkeit des Gameplays. Puristische Fans des Films müssen zwar verkraften, dass das Spiel das markante Ende der Vorlage komplett umschreibt. Dennoch ist Scarface ein sehr gelungenes und auf den ausgetretenen Pfaden seines Genres überraschend eigenständig erscheinendes Spiel, das volljährige Actionfans durchaus begeistern dürfte.
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Autor der Besprechung:
Manuel Tants
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